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Schulstart mit Sorgen: Kinder brauchen mehr als Stundenpläne

Diakonie Sachsen warnt: Psychische Gesundheit junger Menschen nicht länger vernachlässigen – Erziehungsberatungsstellen schlagen Alarm

Radebeul, 05.08.2025 – Wenn am Montag in Sachsen die Schulen wieder öffnen, beginnt für viele Kinder und Jugendliche nicht nur ein neues Schuljahr, sondern ein weiterer Kraftakt. Leistungsdruck, familiäre Spannungen, psychische Krisen und fehlende Hilfsangebote prägen den Alltag vieler junger Menschen. Fachkräfte sehen die Ursachen für die zunehmenden psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen vor allem in den bisher wenig bearbeiteten Nachwirkungen der Corona-Pandemie sowie in der starken Prägung dieser Generation – und oft auch ihrer Eltern – durch digitale Medien. Die Erziehungsberatungsstellen der Diakonie Sachsen schlagen Alarm: Immer mehr Familien suchen Hilfe, doch die Beratungskapazitäten sind vielerorts erschöpft.

„Kinder brauchen mehr als einen neuen Stundenplan. Sie benötigen Begleitung, Orientierung und jemanden, der zuhört. Dort, wo Familien an ihre Grenzen stoßen, unterstützen unsere diakonischen Erziehungsberatungsstellen. Aber die Fachkräfte vor Ort stemmen tagtäglich mehr, als dauerhaft tragbar ist“, sagt Dietrich Bauer, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Sachsen.

Lange Wartezeiten: Wenn schnelle Hilfe nicht mehr möglich ist

Das niedrigschwellige und bewährte Angebot für Kinder und Jugendliche, ihre Eltern und Bezugspersonen steht einem stetig wachsendem Beratungsbedarf gegenüber. Hinzu kommt eine ausgedünnte Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe: Spezialisierte Hilfen wie Angebote bei Schulverweigerung wurden reduziert, medizinisch-therapeutische Angebote sind überlastet, Jugendämter arbeiten zeitweise im Notbetrieb. Die Beratungsstellen fangen auf, was andere Systeme nicht mehr leisten können.

„Die Wartezeit für ein Erstgespräch hat sich kontinuierlich verlängert und mittlerweile fast verdoppelt.“, berichtet Frau Rießner, Leiterin der Erziehungs- und Familienberatungsstelle der St. Martin StattRand gGmbH in Weißwasser. „Für Familien in Not ist das eine dramatische Situation. Der Leidensdruck und die Verzweiflung innerhalb der Familien steigt und die Beratungsarbeit wird herausfordernder.“

Prävention bleibt auf der Strecke

In vielen diakonischen Beratungsstellen liegt der Anteil der Arbeit mit Klientinnen und Klienten bei bis zu 90 Prozent, empfohlen werden von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) 60 Prozent. Präventive Arbeit, wie Schulprojekte, Gruppenangebote und Netzwerkarbeit sind vielfach kaum noch möglich. In mehreren Beratungsstellen wurden Anti-Mobbing-Projekte, soziale Kompetenztrainings, Elternabende nicht mehr durchgeführt oder drastisch reduziert.

„Das ist keine kurzfristige Überlastung, es ist ein strukturelles Problem. Und es betrifft direkt die jungen Menschen und ihre Eltern, die wir eigentlich stärken wollen“, so Ute Lämmel, zuständige Referentin bei der Diakonie Sachsen.

Diakonie fordert: Beratung stärken, Kinderrechte sichern

Die Diakonie Sachsen fordert deshalb von Politik und Verwaltung eine konsequente Stärkung der Erziehungsberatung in Sachsen. Die Einhaltung des Versorgungsschlüssels von einer Fachkraft pro 2.500 Kinder und Jugendliche muss verbindlich sichergestellt werden. Dieser von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) empfohlene Mindestschlüssel wird in Sachsen nicht angewendet. Es braucht langfristige Lösungen sowie eine sofortige personelle und finanzielle Aufstockung der Beratungsstellen, um den Rechtsanspruch auf Beratung nach § 28 SGB VIII real umsetzen zu können.

Dafür ist es notwendig, dass freie Träger wie die Diakonie verlässlich und verbindlich an der Jugendhilfeplanung beteiligt werden, wie es § 36a SGB VIII vorsieht. „Nur im Zusammenspiel aller Akteure lässt sich ein wirksames, bedarfsgerechtes Unterstützungssystem sichern. Unerlässlich ist ein Gesamtkonzept inklusive Prävention, um der dramatischen Situation eines großen Anteils unserer Kinder und Jugendlichen wirksam zu begegnen“, unterstreicht Lämmel.

„Gerade zum Schulstart ist es unsere Aufgabe, Kinder und Jugendliche stärker in den Blick zu nehmen – nicht nur mit Blick auf Noten, sondern auf ihr seelisches Wohl“, fordert Dietrich Bauer die Politik zum Handeln auf.

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